re:publica 2017

Love out loud

Drei anstrengende Tage in Berlin. Eine Handvoll von den über 300 Sessions, Vorträgen oder Workshops kann man vielleicht besuchen – und das ist immer noch mehr als genug, wenn man das Gehörte verstehen will, gründlich durchdenken will, parallel dazu die Kommentare und Argumentationsfetzen auf Facebook, die Meinungen, Ergänzungen, etc. auf Twitter, den Links nachgehen, die dazu gepostet werden, die Bilder zu betrachten, Videohappen und Fotos auf Instagram, Snapchat und ich weiß nicht was für Kanälen zu betrachten. Und dann selbst liken, sharen, kommentieren, ergänzen.

Und dann vielleicht noch ein paar Stunden später oder am nächsten Tag die Berichte von den Kollegen in den professionellen Medien über die Sessions nachlesen und vergleichen mit dem, was man selbst erfahren und notiert hat. Während man längst schon weitere Sessions verarbeiten muss.

Dann die Gespräche mit den Freunden, Small-Talks mit Bekannten, das Begrüßen von Kollegen in ähnlichen Arbeitsfeldern, die genauso über die Veranstaltung hasten. Die Augen schwirren umher, um nicht jemanden zu übersehen, der auch durch die große Halle schlendert. Es brummt vor Geschäftigkeit. Hier präsentiert der WDR mit der Maus den Kölner Dom mit einer virtuellen Brille, dort führt der Deutschlandfunk ein Video-Interview, die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg präsentieren sich an Ständen, die Deutsche Bahn ist da, man drückt sich durch Menschenhaufen, stellt sich in Schlangen, um einen Kaffee zu erhalten, muss mit einem Tweet bezahlen, wenn man ein Werbegeschenk erhalten möchte. Menschen starren auf Bildschirme, tippen auf Displays, sprechen in Microphone.

Ein Zustand ständiger Reizüberflutung.

Hoffnungslos der Versuch, den Überblick zu gewinnen. Man muss auswählen, kann nur Eindrücke gewinnnen, es gewinnt, eas die größte Aufmerksamkeit erregt.

Deswegen hier Eindrücke:

Das Motto „love out loud“. Zunächst mal ein Sprachspiel, eine Anlehnung an das abgenutzte spottende „lol“, was als Kurzform für „laugh out lout“ steht. Dann aber: Das stärkste Gefühl im Befehlston. „Liebt laut!“ Nicht wie einst Erich Fromm „Die Kunst des Liebens“ oder gar Jesu Vermächtnis: „Liebt einander wie ich euch geliebt habe“, sondern: „Liebt laut“.

Das ist auch zu verstehen als Reaktion auf den Zustand im Netz: Hass und Verunglimpfung, auf Wutbürger und Trolle, eine Antwort auf Hatespeech und Drohungen.

Und wie eine Hohepriesterin der Liebe tritt die Publizistin Carolin Emcke auf, die den Hauptvortrag zur Deutung des Mottos hielt: puristische Erscheinung, dunkel gekleidet, ernst und philosophenschwer ihre Worte, eine Stimme fast im Ton einer gekonnten Predigt, unterschwelliges Pathos, Moral angereichert durch eigene Erfahrung, tiefsinniges Denken aufscheinend.

 

Als Kontrapunkt dazu die Gunther Dück, der – deutlich älter als das Durchschnittspublikum – den Narr gibt, der die Wahrheiten ausspricht, die alle zum Lachen bringen, weil sie jeder kennt, aber keiner so ausspricht wie er. Mathematiker, früherer IBM-Manager, furchtlos. Der weiß, dass es nur wenige Dinge gibt, die ewig bleiben – und deswegen über die anderen Dinge redet. Wenn man genau hinhört, wird’s sentenzenhaft politisch („Liebe den Fremden wie dich selbst und nenne deinen Nächsten nicht Pack“!) oder für Momente zeitgeist-kritisch („Die Geisteswissenschaftler sind ein bisschen netzphob“). Darüber ließe sich nachdenken, daraus ließen sich Handlungsempfehlungen ableiten, wenn nicht schon der nächste Lacher zündet, das nächste Bild aufscheint. Und zieht dann noch eine Schleife über den Rundfunkstaatsvertrag, das verschüttete Bildungsgut in den Mediatheken

Vor zwei Jahren war ich zum ersten Mal bei der re publica. Damals war ich verwundert, wie ungeniert diese Konferenz von großen internationalen Konzernen geponsort und unterstützt wird. Wer das Gefühl hatte, dass sich dort Hacker, Alternative, Nerds freigeister treffen und dann Brandings von Daimler, Microsoft, IBM etc. sah, konnte zumindest staunen.

Der Staat spielt eine Rolle auf der re publica. Das Arbeitsministerium ist mit einem großen Stand vertreten, propagierte „Arbeiten 4.0“ und die Standorganisatoren schienen nicht gemerkt zu haben, dass der riesige aufgeblasene Gummi-Dinosaurier am Stand wie Form gewordener Spott wirken konnte.

Ministerin Nahles trat auf, Innenminister De Maiziere diskuierte – das kriegt eine Form wie ein Katholikentag.

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